„Weniger Gießkanne“

Flossbach von Storch ist der größte unabhängige Vermögensverwalter in Deutschland mit Sitz in Köln. Das Unternehmen hat mehr als 300 Mitarbeiter und betreut ein Vermögen
von über 80 Milliarden Euro. Im November 2023 lud das Finanzdienstleistungsinstitut zum Gipfeltreffen. Mit dabei: Axel Vollmann. Bei einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten der Bundesbank Prof. Dr. Axel Weber und dem Politiker Wolfgang Bosbach ging es unter anderem um die Inflation, den Fachkräftemangel und die Politik in Berlin. Darüber hinaus wurde er zum Thema „Standort Deutschland“ interviewt.

 

Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Doch die Umstellung auf E-Autos, der Fachkräftemangel und hohe Energiekosten machen vielen Autozulieferern zu schaffen. Unternehmer Axel Vollmann über den Standort Deutschland.

Herr Vollmann, Sie tragen seit mehr als 30 Jahren die Verantwortung für die Vollmann Group. Möchten Sie Ihr Unternehmen kurz vorstellen?

Sehr gerne. Wir sind ein Familienunternehmen in dritter Generation. Das heißt, ich bin die dritte Generation, und meine Frau und ich, wir freuen uns sehr, dass sich auch unsere beiden Töchter dafür entschieden haben, in die Verantwortung zu gehen. Mein Großvater und sein Bruder haben 1911 die Firma gegründet und Fassungen für die Edison-Glühlampen hergestellt. Das Unternehmen hat dann einige Krisen und zwei Weltkriege überstanden. Mein Vater hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit wenigen Mitarbeitern die Produktion wieder gestartet und moderne Produktionstechniken eingeführt. Im Jahr 1985 bin ich dann ins Unternehmen eingetreten und habe wenige Jahre später die alleinige Verantwortung von der Familie übertragen bekommen. In Summe habe ich bis 2005 das Unternehmen als Zulieferer der Licht- und Leuchtenindustrie mit damals 350 Mitarbeitern erfolgreich weiterentwickelt, um dann feststellen zu müssen, dass die Globalisierung, insbesondere mit der Macht Chinas, uns keine dauerhafte Überlebenschance ließ. Ich habe dann als Alleingesellschafter (später mit unseren Töchtern) entschieden, die Branche durch gezielte Zukäufe zu wechseln und so haben wir unser Know-how als Großserienhersteller von Kunststoff- und Metallteilen genutzt, um in der Automobilindustrie Fuß zu fassen. Heute – noch nicht einmal 20 Jahre später – stecken Teile und Baugruppen aus unseren Werken in fast jedem Serienfahrzeug.

Gerade die Autohersteller werden durch die Klimawende hart getroffen. Die Antriebstechnik muss in wenigen Jahren komplett umgestellt werden. Wie schwierig ist das für Sie und den Standort Deutschland?

Die Automobilbranche ist in einer sehr schwierigen Phase der Transformation. Und es ist unsere wichtigste Branche als Industrienation. Es ist zudem ein äußerst wettbewerbsintensiver Bereich. Und dann kommt diese ausufernde Regulatorik hinzu. Viele Unternehmen in einer Größenordnung von 10, 20 Millionen Euro Umsatz sagen uns, sie schaffen das alles nicht mehr. Wir bringen solche Unternehmen gerne zusammen oder übernehmen diese und vernetzen sie unter einer Zentralverwaltung, die bei uns sehr effizient arbeitet. So können wir dann gemeinsam eine Produktivitätssteigerung erreichen und zu unseren Kunden bringen. Denn ich kann ja dort nicht mit höheren Preisen kommen, sondern muss mich innerhalb der gesetzten Grenzen bewegen. Die Entwicklung mag nicht gut oder gesund sein. Aber letztlich ist es wohl der Weg, auf dem es weitergeht: Immer mehr Kleinere fallen aus und die Größeren werden größer.

Ihr Unternehmen ist sehr stark gewachsen. Sie haben 2019 mit etwa 800 Arbeitnehmern rund 150 Millionen Euro Umsatz verbucht. Inzwischen sind Sie bei 400 Millionen Euro mit fast 2.000 Mitarbeitern. Und das trotz Corona-Krise. Was ist bei Ihnen passiert? Hat der Staat geholfen?

Das kann man in gewisser Weise wohl so sagen. Zunächst hat die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in der Pandemie rasch Geld bereitgestellt, damit die Wirtschaft wieder läuft und wir haben 22,5 Millionen Euro zu einem Zins von zwei Prozent bekommen. Das Geld hat die Hausbank besorgt. Ich finde, man kann mit den Banken auch in schwierigen Zeiten zu sehr vorteilhaften Regelungen kommen.

Und wieso war das Geld in dieser Phase für Sie wichtig?

Viele Unternehmen in unserer Branche sind stark unter Druck. Und so haben wir in den Jahren 2020 und 2021, innerhalb von 18 Monaten, drei Unternehmen mit sechs Standorten in drei Ländern gekauft. Dadurch hat sich unser Umsatz auf 300 Millionen Euro verdoppelt. Hinzu kam unser organisches Wachstum, weil wir viele neue Aufträge in allen Bereichen bekommen haben, insbesondere aber in Sachen E-Mobilität. Ja, und fairerweise muss man natürlich auch sagen, dass in unseren insgesamt nun 400 Millionen Euro Umsatz etwa 60 Millionen Euro wegen der Inflation stecken. Das sind gestiegene Materialteuerungszuschläge – kurz MTZ –, die wir eins zu eins an die Kunden weitergeben konnten, die aber auch abgesenkt werden, falls die Materialkosten, wie für 2024 prognostiziert, niedriger ausfallen sollten.

Zu den gestiegenen Kosten zählten sicher auch bei Ihnen die Ausgaben für Energie. Sind doch die Strompreise nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine rasant nach oben gegangen. Energie ist seither knapp. Ist das für Sie ein wichtiges Thema?

Als es diese explosionsartige Steigerung der Strompreise gab, hatten wir unseren Bedarf nicht über einen gefixten Preis eines Anbieters bezogen, sondern über die Strombörsen. Das war leider ein großer Nachteil. So verbrauchen wir etwa pro Jahr 20 Millionen Kilowattstunden Strom und bezahlten vor dem „Energieschock“ etwa 20 Cent, alles in allem. Wir reden also über etwa vier Millionen Euro Energiekosten im Jahr. 2022 haben wir etwa das Doppelte bezahlt. Das war schwierig und kostete Reserven, aber wir haben das gut verkraftet.

Wie ist es heute im Vergleich zu 2019 – also vor Corona?

Zu jener Zeit haben wir pro Kilowattstunde, eben über die Strombörsen, etwa drei Cent für den Arbeitspreis bezahlt. Dazu kam die EEG-Umlage mit sieben Cent pro Kilowattstunde plus Netzentgelt und Stromsteuer obendrauf, sodass wir unterm Strich eben bei jenen 20 Cent landeten. Heute zahlen wir für den Strom zwar elf Cent, also fast das Vierfache. Aber es gibt keine EEG-Umlage mehr, sodass wir unterm Strich in etwa wieder bei dem Preis sind, den ich vorher genannt habe. Für uns ist es so, wie es jetzt ist, vollkommen in Ordnung.

 


„Es ist wichtig, dass der Standort Deutschland hier wettbewerbsfähig bleibt, etwa für die Aluminium-, die Kunststoff- oder die Stahlindustrie. Denn sollten diese Unternehmen mit der Grundstoffindustrie in ein anderes Land wechseln, dann sind wir als verarbeitende Industrie mit einer Verzögerung von einigen Jahren womöglich die nächsten.“


 

Jetzt hört man aber immer wieder Klagen der Industrie, die Stromkosten seien zu hoch. Ab 2024 soll daher für das Produzierende Gewerbe die Stromsteuer um 1,5 Cent auf das europäische Mindestniveau gesenkt werden. Halten Sie das für unnötig?

Also, wir könnten dadurch rund 300.000 Euro im Jahr sparen. Trotzdem würde ich es besser finden, wenn stattdessen bessere Konditionen für die energieintensiven Betriebe hergestellt würden. Bei denen machen die Energiekosten mindestens 10 bis 15 Prozent vom Umsatz aus und sie haben schon vor der Energiekrise keine EEG-Umlage bezahlt. Woanders in der Welt, also beispielsweise in den USA oder China, liegt der Preis nur bei sieben Cent – „all in“. Es ist daher wichtig, dass der Standort Deutschland hier wettbewerbsfähig bleibt, etwa für die Aluminium-, die Kunststoff- oder die Stahlindustrie. Denn sollten diese Unternehmen mit der Grundstoffindustrie in ein anderes Land wechseln, dann sind wir als verarbeitende Industrie mit einer Verzögerung von einigen Jahren womöglich die nächsten.

Und das würde dann Deindustrialisierung bedeuten – und Arbeitsplätze kosten. Christiane Benner, die neue Vorsitzende der IG Metall, verfolgt nun die Strategie: „Wir wollen weniger arbeiten, damit mehr Menschen in Arbeit bleiben.“ Lassen sich Ihre Betriebsräte davon inspirieren? Bei fast 2.000 Mitarbeitern haben Sie Betriebsräte, oder?

Doch, wir haben hier und da Betriebsräte im Unternehmen. Aber wir sind aus Tradition nicht tarifgebunden, was im Osten überlebenswichtig war, denn die Produktivität dort lag über fast zwei Jahrzehnte weit unter den Lohnvorstellungen der IG Metall. Und so machen wir es so, wie wir es für richtig halten. Die hohe Loyalität unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Unternehmen und zu unserer Familie zeigt uns, dass das gut ankommt. Es gibt einen sehr großen Zusammenhalt, kaum Fluktuation. Dabei kommuniziere ich den Mitarbeitern immer unsere Chancen und Probleme sehr offen.

Und finden Sie genügend Fachkräfte?

Wir bekommen immer wieder tolle Mitarbeiter, die sich dann hoffentlich möglichst lange bei uns wohlfühlen – auch junge Leute. Manche von ihnen sind zunächst schlechter ausgebildet als früher, aber wenn wir sie dann entsprechend nachschulen, dann bekommen wir das alle gemeinsam gut hin.

 


„Ich glaube, man sollte den Begriff der sozialen Gerechtigkeit auch mal anders betrachten. Soziale Gerechtigkeit gilt ja nicht nur für die, die staatliche Transferleistungen bekommen. Diese Gerechtigkeit schulden wir auch denen, die von morgens bis abends dafür arbeiten, dass diese Leistungen bezahlt werden.“


 

Sie erwarten also vonseiten des Staates hier keine Verbesserungen?

Das wäre schön. Dafür wären wohl alle dankbar. Aber ich denke, man muss sich manchmal in seinen Kokon einspinnen. Draußen ist eine verrückte Welt. Wir vertrauen lieber auf die eigene Kraft und nutzen unsere Chancen, die sich auch in Krisen bieten können.

Bei unserer Wirtschaftspolitik geht es derzeit wenig um Chancen und Erfolgsfaktoren. Dafür hört man häufig den Begriff der sozialen Gerechtigkeit. Ein Fehler?

Also, ich glaube, man sollte den Begriff der sozialen Gerechtigkeit auch mal anders betrachten. Soziale Gerechtigkeit gilt ja nicht nur für die, die staatliche Transferleistungen bekommen. Diese Gerechtigkeit schulden wir auch denen, die von morgens bis abends dafür arbeiten, dass diese Leistungen bezahlt werden. Doch wir sehen immer nur die Leistungsempfänger, die vom Bundeshaushalt finanziert werden, also von den Steuerzahlern.

Sie glauben, das Steuerniveau ist zu hoch?

Nehmen wir den Spitzensteuersatz. Unter Helmut Kohl, also bis in die 1990er-Jahre, gab es einen Steuersatz von 53 Prozent. Inzwischen liegt der höchste Satz nur noch bei 42 Prozent. Doch damals fielen nur Einkommen in die höchste Steuerklasse, die das 20-Fache des Durchschnittseinkommens überstiegen. Das wären derzeit etwas über 800.000 Euro. Heute zahlt man den höchsten Einkommensteuertarif bereits für den Einkommensteil, der über dem 1,4-Fachen des Durchschnittseinkommens liegt. Viele Mitarbeiter, die bei uns eine Sonderzahlung und Überstunden bezahlt bekommen, fallen bereits unter diese Regelung. Die Differenz zwischen Brutto und Netto ist also schon in dieser Einkommensklasse viel zu groß.

 


„Ich mag dieses Prinzip Gießkanne nicht, also das gleiche Entlohnungsmodell für alle. Ich finde es viel besser, wenn ich die Menge an Geld – und damit meine ich vor allem das, was obendrauf kommt – gezielt auf Leistungsträger verteilen kann.“


 

Arbeitnehmer müssten also mehr verdienen?

Netto, ja. Vor allem für junge Menschen sind die Lebenshaltungskosten hoch. An dieser Stelle würde ich gerne noch etwas ergänzen. Der Wettbewerb um Fachkräfte, insbesondere um die jüngeren, ist hart. Und das bringt mich wieder zum Thema Gewerkschaften. Ich mag dieses Prinzip Gießkanne nicht, also das gleiche Entlohnungsmodell für alle. Ich finde es viel besser, wenn ich die Menge an Geld – und damit meine ich vor allem das, was obendrauf kommt – gezielt auf Leistungsträger verteilen kann. Dafür scheue ich auch Auseinandersetzungen in den Betrieben nicht.

Und das bedeutet konkret?

Wenn wir neue Leute einstellen, verdienen einige mehr als manche Mitarbeiter, die bereits 10 oder 20 Jahre bei uns beschäftigt sind. Und dann kommt schon mal der eine oder andere mit diesem Thema auf mich zu. Dann sage ich ihm, dass der jüngere Kollege auch seine Zukunft sichert und dass wir alle – also er und ich – die jungen Leute brauchen. Er selbst, mit seinen meist um die 50 Jahren, lebt in der Regel in einer Wohnung, für die er wahrscheinlich nicht mehr als sechs Euro Miete pro Quadratmeter zahlt, weil er dort seit vielen Jahren lebt. Der junge Kollege aber muss heute mindestens 8,50 Euro für eine vergleichbare Wohnung bezahlen. Zudem sind beim Älteren die Kinder meist aus dem Haus, und die Ausgaben werden übersichtlich. Der Jüngere muss noch Kosten für Kita, Vorschule und Ausbildung schultern. Und dann legen sich die Fragen – zumeist. Schließlich müssen wir doch alle im Unternehmen am gleichen Strang ziehen.

 


„Das Bürgergeld verstärkt den Fachkräftemangel, denn dafür gibt es keine Voraussetzungen, außer 18 Jahre alt zu sein. Man bekommt es problemlos; ohne Studienabschluss, Ausbildung, Lebenserfahrung – ganz anders, als wenn man sich um einen attraktiven Job bewerben muss. Schlafen wird belohnt.“


 

Wir alle zusammen, das hört man auch oft in Berlin. So ist vor der Haushaltskrise eine Erhöhung für das Bürgergeld beschlossen worden, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Ist das Bürgergeld ein Standortnachteil?

Es verstärkt den Fachkräftemangel. Denn für das Bürgergeld gibt es keine Voraussetzungen, außer 18 Jahre alt zu sein. Man bekommt es problemlos; ohne Studienabschluss, Ausbildung, Lebenserfahrung – ganz anders als wenn man sich um einen attraktiven Job bewerben muss. Schlafen wird belohnt.

Mit anderen Worten: Es legen sich bei uns immer mehr Menschen in die soziale Hängematte?

Nein, sie werden dort von uns hineingelegt. Wobei ich beim Bürgergeld weniger ein Problem bei Singlehaushalten sehe. Doch mit dem Bezug von Sozialleistungen wird auch ein Regelsatz für Kinder bezahlt, der deutlich höher ist als das staatliche Kindergeld. Und dieser Anspruch steigt mit dem Alter der Kinder. Und so vergleichen viele Eltern mit steigender Kinderzahl ihr Einkommen aus all diesen Transferleistungen mit dem, was ihnen als Haushalt netto plus Kindergeld bleibt, wenn sie arbeiten gehen.

Als Fazit würden Sie also sagen, das Bürgergeld ist …

… Agenda 2010 – aber umgekehrt.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Den Original-Artikel auf der Seite von Flossbach von Storch finden Sie hier.

 

Copyright Bild: IMAGO, Matthias Graben

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